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Befragungsergebnisse Digitale Teilhabe liegen vor

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Laptop, Tablet und Smartphone verbinden (Grafik: connection-Megan-Rexazin / Pixabay)
Laptop, Tablet und Smartphone verbinden (Grafik: connection-Megan-Rexazin / Pixabay)

Zum Auftakt der Digitalen Woche vom 6. bis 11. September 2021 stellt der Lebenshilfe Berlin e.V. die Ergebnisse seiner Umfrage zum Nutzungsverhalten digitaler Medien von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung vor. Die Studie wurde von der GETEQ durchgeführt und vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin finanziell unterstützt. Die Ergebnisse bestätigen den allgemeinen Trend: Offline war gestern.

Die Welt von heute ist zum großen Teil digital. Die Welt von morgen wird komplett digital sein. Die Digitalisierung verändert unser Leben und unsere Gesellschaft umfassend, tiefgreifend und in einem atemberaubenden Tempo. Das gilt nicht nur für das Private. Auch immer mehr öffentliche und institutionelle Abläufe, Entscheidungen und die damit verbundenen Meinungsbildungsprozesse verlagern sich in die digitale Sphäre, die mit „dem Internet“ nur noch sehr unzureichend beschrieben werden kann. Online oder offline zu sein bedeutet in immer stärkeren Maße dabei sein oder außen vor sein – egal ob alt oder jung, beeinträchtigt oder nicht. 

Digitale Teilhabe für alle möglich machen

Für Menschen mit Behinderung stellt sich also nicht die Frage, ob digitale Teilhabe möglich ist, sondern wie sie gewährleistet werden kann. Diese Frage mit passenden Maßnahmen und Unterstützungsangeboten zu beantworten, ist eine der zentralen Aufgabe in der Behindertenhilfe in den nächsten Jahren.

Digitale Teilhabe, so formuliert es eine Trendstudie der Aktion Mensch zu diesem Thema aus dem Jahr 2020, bedeutet „das Dabeisein, Mitmachen und Mitgestalten in relevanten gesellschaftlichen Prozessen“. Teilhabe muss demnach an, durch und in digitalen Technologien möglich sein, bzw. möglich gemacht werden.

Digitale Teilhabe bedeutet Lebensqualität

Grundvoraussetzung ist die Teilhabe an digitalen Technologien, also der Zugang zu einer Internetverbindung und einem digitalen Endgerät. Dies ist durch die massenhafte Verfügbarkeit von Smartphones und Tablets und ein – zumindest in den Ballungsräumen - stabiles Mobilfunknetz, bzw. durch fast überall installierte WLAN-Netze auch für Menschen mit Behinderung heutzutage in überwiegendem Maße gewährleistet.

Diese Technologien zu nutzen, etwa um nach Informationen zu suchen oder mit anderen Menschen zu kommunizieren, bedeutet Teilhabe durch digitale Technologien. Angesichts immer neuer Anwendungen, Apps und Bedienungshilfen (z.B. Sprachaufnahmen, Vorlese-Funktion, barrierefreie Webseiten) liegt hier ein enormes Potenzial für die Steigerung der Lebensqualität und Teilhabe von Menschen mit Behinderung.

Medienkompetenz fördern

Natürlich birgt die Nutzung von digitalen Inhalten auch Risiken, allen voran Datenmissbrauch und Online-Betrug. Allerdings ist das kein spezifisches Problem von Menschen mit Behinderung; davon sind alle Bevölkerungsgruppen betroffen. Von entscheidender Bedeutung, um sowohl Möglichkeiten als auch Gefahren im Netz zu kennen, bzw. zu erkennen, ist die Vermittlung von Medienkompetenz. Dies ist an Schulen inzwischen zum fächerübergreifenden Unterrichtsinhalt geworden und ist auch in der Behindertenhilfe dringend notwendig.

Die Förderung der Medienkompetenz betrifft dabei jedoch nicht nur die Menschen mit Behinderung, sondern auch ihre Unterstützer:innen. In einer Untersuchung der Landesmedienanstalt Bremen („MeKoBe. Medienkompetenz in der Behindertenhilfe im Land Bremen“, 2018) wurde ein gravierender Einfluss der Medienkompetenz der Mitarbeiter:innen auf die ihrer Klient:innen festgestellt. 

Die einfache Formal lautet: Nur wer selbst fit ist im Umgang mit digitalen Technologien, kann dies auch gewinnbringend und zielführend weitergeben.
„Medienkompetenz“, so die Medienwissenschaftlerin Isabel Zorn, „ist nicht nur die Bedienfähigkeit, sondern auch Kenntnisse der vorhandenen Möglichkeiten […] und vor allen Dingen auch Kompetenz in der aktiven Gestaltung und Veränderung der vorhandenen Medien und Technologien.“ (aus der Zeitschrift DAS BAND, 04/18) 

Immer wichtiger: Soziale Medien

Dieses aktive Mitgestalten beschreibt den dritten Aspekt der digitalen Teilhabe: die Teilhabe in digitalen Technologien. Durch die Omnipräsenz der Sozialen Medien (Facebook, Instagram etc.) spielt dieser Bereich auch für Menschen mit Behinderung eine immer größere Rolle. 

Bei allen Widrigkeiten und der berechtigten Kritik an missbräuchlicher Nutzung und fragwürdigen Umgangsformen bieten die Sozialen Medien Möglichkeiten, sich darzustellen, auszudrücken und mit der Welt in Verbindung zu treten, die es zuvor nie gegeben hat. Für Menschen mit Behinderung stellen diese Kanäle eine digitale Form der Selbstvertretung mit einem enormen Reichweiten-Potenzial dar. So folgen zum Beispiel dem Aktivisten für Inklusion und Barrierefreiheit Raul Krauthausen auf Instagram derzeit rund 84.000 Menschen.

Befragung nach dem Peer-Prinzip

Dass die hier skizzierten allgemeinen Trends und Analysen auch auf Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zutreffen, legt eine aktuelle Untersuchung der Gesellschaft für teilhabeorientiertes Qualitätsmanagement (GETEQ) nahe. Im Auftrag der Lebenshilfe Berlin und mit freundlicher Unterstützung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, führte die GETEQ zwischen September und Dezember 2020 eine Nutzungsumfrage im Peer-Prinzip zur digitalen Teilhabe in Berlin durch. 

Dabei konnten Interessierte einen Online-Fragebogen zu ihrem persönlichen Nutzungsverhalten im Internet beantworten. Auch face-to-face-Interviews wurden angeboten, jedoch vermutlich aufgrund der pandemischen Situation nicht in Anspruch genommen. Insgesamt nahmen 143 Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung aus ganz Deutschland an der Befragung teil, die meisten davon im Alter zwischen 26-35 Jahren aus Wohngemeinschaften oder dem betreuten Einzelwohnen. 14 Befragte leben in stationären Einrichtungen.

Ermutigende Ergebnisse

Die Ergebnisse zeichnen ein deutliches Bild: Von den 143 Teilnehmenden, von denen knapp die Hälfte Hilfe beim Ausfüllen des Fragebogens hatte, meinten nur zehn, dass sie das Internet nicht regelmäßig nutzen. Das mit Abstand am häufigsten benutzte Gerät ist das Smartphone (85%). Rund drei Viertel gaben an, online vor allem Nachrichten zu schreiben (meist bei Whatsapp), dahinter folgen Videos schauen, Informationen suchen und Musik hören. Diese Zahlen unterscheiden sich insgesamt nur wenig vom Nutzungsverhalten der Gesamtbevölkerung in Deutschland.

Als größte Barriere bei der Internetnutzung gaben die von der GETEQ befragten Menschen mit Lernschwierigkeiten unverständliche Inhalte an, noch vor der Angst vor Betrug und/oder Computer-Viren. Entsprechend wünschen sich mehr als die Hälfte vor allem leichte Sprache im Internet (56%). Dieser Wunsch stand sogar noch vor einer guten Internetverbindung (53%).

Leichte Sprache ist der Schlüssel zur Welt

Das bestätigt, was die Lebenshilfe Berlin schon seit Jahren immer wieder betont und durch immer neue Veröffentlichungen aktiv vorantreibt: Der Schlüssel zur (Digitalen) Teilhabe für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung liegt in der Leichten Sprache. Sie ist Voraussetzung für Medienkompetenz, das Verständnis von Inhalten und damit für die selbständige Nutzung der digitalen Sphäre.

Um Barrieren für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung im Internet abzubauen, hat die Bundesvereinigung Lebenshilfe mit Unterstützung der Aktion Mensch ein dreijähriges Projekt mit dem Titel „Das Internet ist für alle da“ gestartet. Sie arbeitet dafür mit der Lebenshilfe Berlin, der Lebenshilfe Münster, mit In der Gemeinde leben, dem PIKSL-Labor Düsseldorf, der Lebenshilfe St. Wendel und der Lebenshilfe Delmenhorst zusammen. Interessenvertreter Sascha Ubrig berät das Projekt.

Wie gut Digitale Teilhabe im Sinne von Dabeisein, Mitmachen und Mitgestalten für Menschen mit Lernschwierigkeiten funktionieren kann, beweist Sascha Ubrig übrigens seit einigen Monaten auf seinem Instagram-Kanal. Folgen lohnt sich!

(sok)

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